Das Planspiel Cannabis auf der Expopharm in München 2024
- Anna-Rosa Haumann
- 25. Okt. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. März

Ein Ausschnitt zum Panal im Innovation Lab: "Innovative Präventionsstrategien: Interdisziplinäre Ansätze für Apotheken mit dem Planspiel-Cannabis und Bewegungsangebote für die Jugend" am 11.10.2024 in München auf der Expopharm 2024.
Gesprächspartner von links:
Markus Laurenz (Gründer - Marktplatz der Gesundheit)
Dr. Anna-Rosa Haumann (Didaktikerin - DemokratiePunks)
Maja Michael (Inhaberin und Apothekerin - Westernplan Apotheke)
Johanna Elsing (Mitglied der OurGenerationZ)
Gerrit Nattler (Apotheker - ELISANA)
Gerrit Nattler (Interviewer)

Anna-Rosa, ich freue mich, dass du heute da bist. Du bist nicht nur promovierte Didaktikerin, sondern hast auch ein konkretes Produkt entwickelt: Du hast Planspiele entworfen. Vielleicht erklärst du uns zu Beginn, was genau ein Planspiel ist und warum es so wichtig ist, diese in Schulen zu bringen?
Dr. Anna-Rosa Haumann

Ja, das Planspiel Cannabis war nicht mein erstes Planspiel. Zuerst habe ich eines zum Thema Demokratie entwickelt. Am 1. April dieses Jahres trat dann das Cannabis-Konsum-Gesetz in Kraft, aber dabei wurden nicht alle Eventualitäten bedacht, besonders im Hinblick auf Jugendliche. Ich habe selbst erlebt, dass viele Schüler dachten: „Super, das ist jetzt legal, wir können alle kiffen.“ Da wurde mir klar, dass hier ein Präventionsansatz fehlt. Es wurde zu wenig unternommen, um Jugendliche über die Konsequenzen einer Teillegalisierung aufzuklären. So entstand die Idee, ein spezifisches Planspiel zur Cannabisprävention für Jugendliche zu entwickeln.
Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Planspiel ist: Es handelt sich um eine Art interaktives Rollenspiel mit festgelegten Rollen. Beim Planspiel Cannabis haben wir sieben Rollen entwickelt, die aus der Lebenswelt der Jugendlichen stammen – zum Beispiel die Jugendlichen selbst, die Schule, die Polizei, die Politik, besorgte Eltern, die Drogenberatung und der „Kiffer-Verein“. Diese Rollen beleuchten das Problem des frühen Drogenkonsums aus verschiedenen Perspektiven. Es geht nicht darum, Cannabis zu verteufeln, sondern vielmehr darum, Jugendliche zu sensibilisieren und ihnen Handlungsoptionen aufzuzeigen.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Das klingt sehr praxisnah. Warum ist es so wichtig, dieses Planspiel bereits in der Schule durchzuführen?
Dr. Anna-Rosa Haumann
Prävention muss da ansetzen, wo noch nichts passiert ist. Viele denken, Prävention sollte erst in der 9. oder 10. Klasse beginnen, wenn die Schüler 15 oder 16 Jahre alt sind. Aber wir haben festgestellt, dass es besser ist, bereits in der 7. oder 8. Klasse zu beginnen. Anfangs war ich skeptisch, ob Schülerder 7. Klasse die komplexen Inhalte verstehen würden. Doch sie haben es erstaunlich gut hinbekommen. Sie setzen sich mit den Themen auseinander und lernen, wie sie in Zukunft handeln können.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Maja, du hast das Planspiel bereits in Magdeburg durchgeführt. Wie war deine Erfahrung damit?
Maja Michael

Ja, es war super spannend, weil es absolut außerhalb meiner Komfortzone lag, mich als Apothekerin vor eine Klasse mit 30 Kindern zu stellen und Unterricht zu gestalten. Aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht, weil die Kinder sich intensiv mit ihren Rollen auseinandergesetzt haben. Sie haben sich durch Videos und Texte in das Thema eingearbeitet und selbstständig entschieden, welche Punkte für ihre Rolle wichtig sind. Besonders spannend wurde es, als die Diskussionen zwischen den Gruppen starteten – beispielsweise darüber, was Eltern tun könnten, um den Konsum zu verhindern, oder welche Maßnahmen die Schule ergreifen sollte.
Am Ende gab es eine Konferenz, in der jede Gruppe einen Vertreter stellte, um die wichtigsten Punkte vorzustellen. Es wurde gemeinsam diskutiert, welche Vorschläge umsetzbar sind und wie die Ideen aus Sicht der Jugendlichen zusammengeführt werden können.
Markus Laurenz

Das ist ein großartiges Beispiel für präventive Arbeit. In Magdeburg hattest du fünf Klassen, und jede Klasse spielte das Planspiel. Dabei entwickelten die Kinder eigenständig Ideen, wie ihr Umfeld verbessert werden könnte. Prävention bedeutet oft, dass es schwierig ist, an das Denken und Wissen der Zielgruppe heranzukommen. Hier hingegen versetzen sich die Kinder in die Rolle der Eltern und überlegen, was ihre Eltern tun müssten, um eine Verbesserung zu bewirken. Sie denken auch darüber nach, was die Schule anders machen könnte. Dieses Vorgehen gibt uns einen tiefen Einblick in die Denkweise der Jugendlichen und zeigt, welche Maßnahmen sie als sinnvoll erachten.
Ein konkretes Beispiel: In jeder Gruppe wurde in der Abschlusskonferenz schnell Einigkeit erzielt, dass in einem Haushalt mit Kindern und Jugendlichen Eltern weder kiffen noch Cannabis anbauen sollten. Das zeigt, dass sich unsere Jugend klare Vorbilder wünscht. Daraus ergeben sich wertvolle sozialpräventive Ansätze, wie Elternabende, die bereits in Gelsenkirchen durchgeführt werden. Solches Wissen ist selten so leicht zugänglich.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Es geht ja nicht nur darum, das Planspiel einmal durchzuführen, sondern auch darum, echte Ergebnisse zu erzielen, die an anderer Stelle umgesetzt werden können. Dadurch wird tatsächlich Politik gemacht und es werden Aktionen gestartet, die von der Zielgruppe selbst gewünscht sind. Maja, wie haben die Lehrer darauf reagiert?
Maja Michael
Die Lehrer fanden es ebenfalls unglaublich spannend, zu beobachten, wie die Kinder in diesen Gruppenarbeiten agieren, völlig losgelöst vom normalen Unterricht. Ich war selbst überrascht, wie viel von dem, was erarbeitet wurde, am Ende tatsächlich hängen blieb. Es ist kein klassischer Frontalunterricht, sondern ein Ansatz, bei dem die Schüler selbstständig arbeiten, offen miteinander kommunizieren und in den Austausch kommen. Dadurch traten sie auch viel mehr in den Dialog mit den Lehrern. Nach dem Planspiel stellten die Schüler viele Fragen und dachten das Thema weiter. Für die Lehrer war das sehr wertvoll, und sie möchten das Planspiel unbedingt wiederholen.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Jetzt kommen wir noch einmal zur Jugend. Wir haben gesagt, dass in allen Klassen, in denen das Planspiel bisher durchgeführt wurde, die Jugendlichen geäußert haben, dass ihre Eltern entweder gute Vorbilder sind oder keine guten Vorbilder, aber sie sollten definitiv Vorbilder sein. Johanna, wie siehst du das in deinem Freundeskreis? Gibt es dort Erfahrungen?
Johanna Elsing

Man kann es eigentlich genauso wie bei Zigaretten aufteilen. Es gibt Leute, die konsumieren, dann gibt es diejenigen, die es akzeptieren, aber selbst nicht tun würden, und schließlich die, die es komplett ablehnen. Genauso ist es bei Cannabis. Manche kiffen regelmäßig und sind teilweise schon abhängig. Andere sagen: „Okay, die Person raucht zwar regelmäßig, aber das hat nichts mit mir zu tun.“ Und dann gibt es die, die sagen: „Auf gar keinen Fall! Ich möchte damit nichts zu tun haben.“ Es ist definitiv ein großes Thema.
In Bezug auf die Prävention fehlt es einfach. Ich habe 2022 mein Abitur gemacht, und während meiner gesamten Schulzeit wurde das Thema nie angesprochen. Natürlich gab es das Gesetz damals noch nicht, aber Cannabis war auch vorher ein Thema. In meiner Berufsschulzeit, etwa im Politikunterricht, wurde es ebenfalls nicht thematisiert. Das ist ein Problem, weil Aufklärung dringend nötig wäre, vor allem in Bezug auf Themen wie die Gehirnentwicklung. Vielen in meinem Alter ist nicht bewusst, dass die Gehirnentwicklung erst Mitte bis Ende 20 abgeschlossen ist. Das wissen die wenigsten.
Ich kann von Partys erzählen, auf denen gleichzeitig getrunken und gekifft wurde. Man sieht dann die Probleme des Mischkonsums, besonders bei Leuten, die es nicht gewohnt sind. Es kam zu Abstürzen, einige wurden bewusstlos und lagen dann über einem Eimer. Da fragt man sich: Schlafen sie nur oder sind sie ohnmächtig? Es fehlt einfach an Aufklärung.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Meinst du, es liegt eher an Unwissenheit oder Ignoranz? Und wäre es wichtig, frühzeitig die richtigen Informationen zu bekommen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden?
Johanna Elsing
Ich denke, es wird immer Leute geben, die sagen: „Ja, ich kiffe halt weiter. Mein Gehirn ist vielleicht nicht vollständig entwickelt, aber mir macht es Spaß.“ Solche Leute gibt es immer. Aber ich glaube, viele würden sagen: „Nein, ich bin in der 8. oder 9. Klasse, und mein Gehirn braucht noch Zeit, um sich vollständig zu entwickeln. Das möchte ich nicht gefährden.“
Dr. Anna-Rosa Haumann
Genau, das möchte ich unterstreichen. Ich bin oft in Schulen unterwegs. Zwar bin ich Didaktikerin, aber auch immer wieder im Unterricht eingebunden. Es gibt sicherlich viele großartige Lehrkräfte, die das Thema Drogen sehr sensibel behandeln. Aber auch ich erinnere mich aus meiner Schulzeit, dass das Thema oft nur oberflächlich gestreift wurde. Manchmal gab es Gruppenarbeiten, bei denen eine Gruppe über Cannabis, eine andere über Alkohol und wieder eine andere über Zigaretten gearbeitet hat. Wenn man nicht in der Cannabis-Gruppe war, hat man das Thema vielleicht während der gesamten Schulzeit nur am Rande behandelt. Und das ist einfach zu wichtig, um es so zu vernachlässigen.
Unser Planspiel setzt viel früher an, schon in der 7. oder 8. Klasse, bevor die Jugendlichen überhaupt in Kontakt mit Drogen kommen. Es gibt ihnen Handlungsoptionen an die Hand. Wenn sie merken, dass ein Freund mit dem Kiffen anfängt, können sie ihn darauf ansprechen. Selbst wenn sie bereits in Kontakt mit Cannabis gekommen sind, bietet das Spiel Unterstützung. Wir haben am Ende des Spiels immer Informationen über Hilfetelefone, Drogenberatungen und Angebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass wir die Schirmherrschaft von Burkhard Blienert, dem Drogenbeauftragten der Bundesrepublik, haben. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützt, was zeigt, dass es gut in eine umfassende Infrastruktur eingebettet ist.
Gerrit Nattler (Interviewer)
Das klingt nach einem sehr gut durchdachten Ansatz. Vielen Dank für eure Zeit und die spannenden Einblicke!
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