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Was heißt eigentlich Demokratiekompetenz? – Warum politische Bildung mehr ist als Politikunterricht

Aktualisiert: 25. März

Von Anna-Rosa Haumann

Begriffe wie Demokratieerziehung, Demokratiebildung oder Demokratiekompetenz begegnen uns zunehmend in bildungspolitischen Leitlinien, Schulprogrammen und pädagogischen Konzepten. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Demokratiekompetenz – und wie unterscheidet er sich vom klassischen Politikunterricht, der häufig auf die Vermittlung von Systemwissen fokussiert ist?


Für mich ist klar: Demokratiekompetenz ist mehr als das Wissen über Wahlsysteme oder politische Institutionen. Sie ist ein umfassendes pädagogisches Ziel – und muss vor allem erlebt und eingeübt werden. Genau dort setzt politische Bildung an, die Schülerinnen und Schüler als aktive Mitgestaltende ernst nimmt.





Demokratiekompetenz: mehrdimensional und erfahrungsbasiert

Demokratiekompetenz meint die Befähigung zur reflektierten, verantwortungsvollen und aktiven Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen (vgl. Lange/Juchler 2012, S. 46). Die GPJE unterscheidet dabei verschiedene Kompetenzbereiche, die im schulischen Kontext aufgebaut werden sollen:


  • Fachkompetenz – also Wissen über politische Strukturen, Prozesse und Zusammenhänge,

  • Urteilskompetenz – das Abwägen und Bewerten politischer Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven,

  • Handlungskompetenz – das Erkennen und Nutzen eigener Mitgestaltungsmöglichkeiten,

  • soziale und kommunikative Kompetenzen – wie Empathie, Toleranz, Konfliktfähigkeit und Kooperation.


Diese Dimensionen machen deutlich: Demokratiekompetenz ist kein isoliertes Lernziel eines Fachs, sondern eine Querschnittsaufgabe schulischer Bildung (vgl. GPJE 2004).


Wissen allein reicht nicht – politische Bildung muss mehr leisten

Politikunterricht, wie er vielerorts noch praktiziert wird, bleibt oft stark faktenorientiert: Wahlsysteme, Gewaltenteilung, Verfassungsorgane – all das gehört zweifellos zum grundlegenden politischen Wissen. Aber Demokratie erschöpft sich nicht in institutionellen Abläufen. Wer Demokratie nur erklärt bekommt, aber nie selbst erlebt, wird sie kaum als lebendige Gesellschaftsform begreifen.


Demokratiekompetenz hingegen verlangt eine andere pädagogische Grundhaltung: eine, die Partizipation, Aushandlung und Ambiguität ernst nimmt – und Lernräume schafft, in denen Schülerinnen und Schüler selbst Wirksamkeit erfahren.


Demokratie als Erfahrungsraum gestalten

In meiner Arbeit mit interaktiven Methoden, besonders mit Planspielen, erlebe ich immer wieder, wie stark das Lernen durch Rollenübernahme, Perspektivwechsel und gemeinsame Entscheidungsprozesse wirkt. Genau aus diesem Anspruch heraus habe ich das Planspiel „Demokratie“ entwickelt.


Es geht dabei nicht um das bloße Nachspielen politischer Prozesse – vielmehr geht es darum, gesellschaftliche Aushandlungen selbst zu gestalten. Die Lernenden übernehmen unterschiedliche Rollen – etwa aus Politik, Zivilgesellschaft, Jugendverbänden oder Wirtschaft – und entwickeln gemeinsam einen Gesetzesvorschlag. Dabei müssen sie Mehrheiten finden, Interessen ausbalancieren und Kompromisse schließen. Das bedeutet: Sie erleben Demokratie als dynamischen Prozess – mit all seinen Herausforderungen.


Besonders wirkungsvoll ist dabei, dass die Schülerinnen und Schüler:


  • Verhandlungsstrategien entwickeln,

  • Argumente begründet vertreten müssen,

  • Verantwortung für Entscheidungen übernehmen,

  • und am Ende gemeinsam reflektieren, was Demokratie im Alltag bedeutet.


Gerade durch diesen Rollenwechsel erweitern die Lernenden ihre Perspektiven und stärken ihre politische Urteils- und Handlungskompetenz – weit über das hinaus, was ein Tafelbild zur Gewaltenteilung leisten könnte.


Didaktische Professionalität heißt: Demokratie gestalten statt Demokratie dozieren

Demokratiekompetenz lässt sich nicht „vermitteln“ – sie muss ermöglicht werden. Dafür brauchen wir Methodenvielfalt, Diskursräume und Erfahrungen mit realitätsnahen Herausforderungen. Das bedeutet nicht, dass klassische Unterrichtsformen überflüssig wären – aber sie müssen ergänzt werden durch aktivierende Lernsettings, in denen Schüler:innen demokratische Prozesse wirklich durchdenken und gestalten.


Für mich zeigt sich hier einmal mehr, wie wichtig es ist, dass politische Bildung nicht an der Wissensebene stehenbleibt, sondern reflexive, soziale und emotionale Lernprozesse mitdenkt.


Fazit: Demokratiekompetenz ist kein Nebenziel – sie ist schulischer Kernauftrag

Wer Schülerinnen und Schüler zu mündigen, urteilsfähigen und verantwortlichen Bürgerinnen und Bürgern bilden will, braucht mehr als ein Politikbuch. Demokratiekompetenz entsteht durch Erfahrung, Dialog und Beteiligung – nicht durch Auswendiglernen.

Planspiele wie das von mir entwickelte „Demokratie“-Szenario sind aus meiner Sicht ein wirkungsvolles didaktisches Instrument, um politische Bildung konkret, motivierend und nachhaltig umzusetzen.



Verwendete Literatur


GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung): Bildungsstandards für die politische Bildung in der Schule. Outputorientierte Kompetenzen und deren Leistungsbewertung, Schwalbach/Ts. 2004, S. 7–15.


Gudjons, Herbert: Lernen durch Einsicht und Erfahrung. Pädagogisches Handeln im konstruktivistischen Sinne, 6. Auflage, Bad Heilbrunn 2013, S. 89–95.


Lange, Dirk/ Juchler, Ingo: Politische Bildung – Eine Einführung, 3. Auflage, Schwalbach/Ts. 2012, S. 45–52.


Massing, Peter: Politikdidaktik. Eine Einführung, 3. Auflage, Schwalbach/Ts. 2020, S. 33–39.


Wehling, Hans-Georg: Der Beutelsbacher Konsens, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Schwalbach/Ts. 2001, S. 169–172.

 
 
 

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